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Hochschwingend trauern: Abschied von meiner Mutter (und was ihr Tod mit Nachttanz zu tun hat)

 

Ein sanfter Hinweis, bevor du liest: Dieser Text berührt die Themen Abschied, Trauer und Loslassen. Wenn du selbst gerade einen Verlust erlebst, lies nur weiter, wenn du dich sicher genug fühlst – und gönn dir Pausen, wenn es zu viel wird. 🕊️

 

Ich erzähle vom Sterben meiner Mutter, zwei Tage vor ihrem Geburtstag im Juli 2025; von Überforderung und Nähe, einer Gewitternacht, vom Danach – und davon, wie Liebe und Dankbarkeit den Raum halten.

 

  

In der Trauer hochschwingend bleiben – wie geht das?

  

Als Antwort auf einen Kommentar, in dem eine Frau vom Verlust ihrer geliebten Oma berichtete, schrieb die Astrologin Silke Schäfer Ende August auf Instagram: „Ja, als Menschen trauern wir. Die Seele aber ist in Freude. Und deine Liebe bis in die Ewigkeit kann jetzt das ganze Quantenfeld nähren. Bleibe in deiner Trauer hochschwingend. Du kannst das.“

 

Diese Sätze haben mich sehr bewegt, denn ich habe gerade meine Mutter verloren. War es mir gelungen, in meiner Trauer „hochschwingend“ zu bleiben? Was bedeutet das überhaupt?

  

Hochschwingend in der Trauer heißt nicht, dass du nicht traurig sein darfst. Für mich bedeutet es: die Liebe größer machen als den Schmerz; Dankbarkeit mitschwingen lassen, selbst wenn das Herz bricht; Trauer lebendig halten und nicht erstarren. Es ist eine zweifache Bewegung: Ich fühle den Schmerz und bleibe dennoch mit der Liebe verbunden. Ich halte mein Herz auch in der Trauer offen, statt es zu verhärten.

 

 

 

Die Wochen vor dem Tod meiner Mutter – zwischen Akzeptanz und Überforderung

 

Ich ging durch ein breites Spektrum an Emotionen: Akzeptanz. Wut aufs Leben und die Aufgaben, vor die es mich gestellt hat. Schuldgefühlen, weil ich meinen eigenen Ansprüchen nicht genügt habe. Angst, den Anforderungen, die an mich gestellt wurden, nicht dauerhaft standzuhalten. Befremden über die Persönlichkeitsveränderungen meiner Mutter vor ihrem Tod: Nächte, in denen ich mich ein wenig gruselte, weil sie mit Vehemenz von Dingen erzählte, die nicht stattgefunden hatten – zumindest nicht in meiner Welt. Nächte, in denen sie darauf bestand, sie läge nicht in ihrem Bett und ich würde sie nicht verstehen; Tag und Nächte, in denen sie die Präsenz einer weiteren Person im Raum spürte. – Wen sie da wahrnahm, konnte sie mir nie sagen. Ich dachte beinahe täglich an meine Großmutter und hatte das Gefühl, sie sei gekommen, um ihre Tochter zu begleiten.

 

Phasenweise fühlte ich mich hilflos, überfordert und mit allem allein gelassen. Und doch war ich jeden Tag und jede Nacht an ihrer Seite, quartierte mich für mehrere Wochen bei ihr ein, damit sie in ihrer wachsenden Hilflosigkeit – die ihr so unglaublich schwer fiel – nicht allein war. Ich hätte es mit meinem Gewissen und meinem Herzen nicht vereinbaren können, diesen Schritt nicht zu gehen, denn unsere Verbindung war zu tief.

 

Streckenweise wusste ich nicht mehr, wo mir der Kopf stand: Pflegedienst, Palliativdienst, Hausärztin, Lieferdienste der Apotheken - viel zu viele verschiedene Menschen, die ein und aus gingen!

 

Der Medizinische Dienst billigte meiner Mutter erst wenige Tage vor ihrem Tod eine höhere Pflegestufe zu – die Hinterlist der Erstbegutachterin, um den Pflegekassen Geld zu sparen, wäre eine eigene Geschichte wert. Ich habe dabei viel über das deutsche Pflegesystem gelernt. (Neulich las ich, wir könnten alle geldbedingten Probleme in diesem Land mit einem Schlag beheben, wenn die Milliarden, die aktuell in Aufrüstung fließen, in Renten, Gesundheit, Pflege, Bildung und Infrastruktur investiert würden).

 

Die Hausärztin hatte einen Palliativdienst beauftragt, doch mit Ausnahme der sehr zugewandten Palliativmedizinerin brachte er uns wenig. „Hallo, wie geht es Ihnen heute?“ – fünf Minuten später waren die täglich wechselnden Pflegekräfte wieder weg. Es war kaum Fürsorge spürbar. Beim Pflegedienst hatten wir zum Glück, nach Startschwierigkeiten, zweimal wöchentlich zwei wirklich nette, hochengagierte Pfleger an unserer Seite; sie schlossen meine Mutter schnell ins Herz – und sie die beiden ebenso.

 

Bald darauf beantragte der Palliativdienst, in Absprache mit uns, einen Hospizplatz. Die Chance, einen der knappen Plätze zu erhalten, war jedoch gering. Ich hatte meiner Mutter versprochen: kein Krankenhaus mehr – die erste Einlieferung wenige Wochen zuvor hatte sie traumatisiert zurückgelassen – und ganz sicher kein Pflegeheim in den wenigen Wochen oder Monaten vor ihrem Tod. (Ich verstehe immer mehr, warum alte Menschen dort nicht sein wollen. Es ist keine menschenwürdige Umgebung, mehr eine Verwahrung alter Menschen - so sehr sich engagierte Pfleger auch bemühen).

 

 

Unsere Vereinbarung – und das Alte, das blieb

 

In unserer ersten gemeinsamen Woche beschlossen wir, gemeinsam auf den Tod zu warten – und richteten es uns in dieser schweren Situation so gut wie möglich ein. Doch die täglichen Herausforderungen und die hohe Anspannung machten uns oft einen Strich durch die Rechnung. Alte Mutter-Tochter-Wunden rissen auf – auch durch das Zusammensein rund um die Uhr. „Warum müssen wir uns noch gegenseitig verletzen?“, fragte meine Mutter einmal laut. Wir schwankten bis zuletzt zwischen Nähe und Dankbarkeit füreinander auf der einen sowie Anspannung und einem nicht durchgängig liebevollen Umgang miteinander auf der anderen Seite. Hier  war unser altes Thema: Nähe? Ja. Radikale Ehrlichkeit? Unbedingt. Liebe? Auf jeden Fall. Aber zärtlicher, inniger Umgang miteinander, ein „Liebhalten“ zwischen Mutter und Tochter – eher kurz und selten.

 

 

Die Nacht ihres Todes

 

Gegen 21 Uhr schaute ich noch einmal nach ihr. Sie atmete und schien ruhig zu schlafen. Ich legte mich wieder hin. Gegen 2 Uhr wachte ich auf. Draußen goss es in Strömen, Wind fegte durch die offenen Fenster, der Regen hämmerte dagegen. Ich fand meine Mutter aufrecht sitzend, und dann wohl zur Seite gekippt. Den Mund leicht geöffnet, die Arme angewinkelt. Ein Bein vor dem Bett, das andere angewinkelt auf dem Bett.

  

Ich wusste sofort: Sie ist tot. Tränen. „Mama, oh Mama.“

 

Ich traute mich nicht, sie zu bewegen, und rief 112 an. „Woher wissen Sie, dass sie tot ist? Sind Sie medizinisch ausgebildet?“ – Nein. Aber es gibt keinen Zweifel: Wie bei meinem Vater vor 14 Jahren sieht man, wenn die Seele gegangen ist. Es bleibt die Hülle – wie nach einer Häutung, so fühlte es sich zumindest an. Die Bewohnerin hatte ihren Tempel verlassen.

 

Sechs Menschen – Sanitäter und ein Arzt – kamen und bestätigten, dass sie verstorben war. Sie legten sie ins Bett zurück und baten mich, im Laufe des Tages die Hausärztin oder die Palliativmedizinerin zu informieren, damit alles offiziell beurkundet würde.

  

Ich war sehr froh, wenige Tage zuvor beim Beerdigungsinstitut gewesen zu sein, das meine Mutter lange vor ihrem Tod für sich ausgesucht hatte. Ich wusste, dass ich dort auch mitten in der Nacht jemanden erreichen würde; dass ich – wenn ich es wollte – den Leichnam bis zu 48 Stunden in der Wohnung aufgebahrt lassen durfte; und dass ich neben der Heiratsurkunde meiner Eltern auch die Sterbeurkunde meines Vaters und die Rentenversicherungsnummer meiner Mutter benötigen würde, um die Formalitäten zu finalisieren.

  

Ich wollte mitten in der Nacht niemanden aus dem Bett holen und wartete, bis es hell wurde. Allerdings rief ich mein Kind an. Stundenlang sprachen wir über Lautsprecher – mit meiner Mutter im Raum – über seine Oma, sammelten schöne Erinnerungen. Später sagte mir mein (erwachsenes) Kind, dass es mein gutturales Schluchzen, in dem Moment als ich ihm die traurige Nachricht überbracht hatte, sehr bewegt habe.

  

Nach Tagesanbruch kam zunächst die Palliativmedizinerin, dann das Bestattungsunternehmen.

  

 

Das Danach

  

Vier Wochen nach dem Tod meiner Mutter hatte ich endlich alles abgeschlossen: Beerdigung, Wohnungsauflösung, Kündigungen aller Art, Kontenauflösung, Neuvermietung und Wohnungsabnahme – ihr Mietvertrag ging automatisch auf mich über –, Rechnungen.

  

Dazwischen verstand ich Stück für Stück, was „hochschwingend trauern“ bedeutet: Körperlich und mental war ich vollkommen erschöpft – und zugleich fand ich so viel Liebe in mir, die blieb und bleibt.

  

In meiner Wohnung erinnert mich nun überall etwas an sie: ihr Mondkalender, ihre Klangschalen und Zimbeln, die kleine Stehlampe, das Kerzengesteck, Familienunterlagen, eine Schatzkiste mit alten Fotos. Kein Tag vergeht, an dem ich nicht an sie denke. Sie ist der Mensch, mit dem ich am längsten und engsten verbunden war – dicht gefolgt, auf eine andere Art, von meinem Kind. Wir hatten Themen miteinander – ja. Doch die radikale Offenheit und die absolute Zuverlässigkeit zwischen uns wirken weiter. Es gab kaum etwas, das sie nicht über mich wusste – und umgekehrt.

  

Als ich erfuhr, dass sie einen Tag nach ihrem Tod, gegen 18 Uhr, ihre Rückschau abgeschlossen hatte, begleitete ich ihre Reise mit Musik, Tanz, vielen Tränen und zugleich Freude.


Eine gute Freundin brachte es bei der Beerdigung auf den Punkt: „Sie hat einen guten Job gemacht.“


Ja, das hat sie wirklich.

 

Und mein Kind, auf dessen Haltung und Unterstützung ich nach dem Tod seiner Großmutter besonders stolz bin, sagte: "Wie sehr wir Oma auch beigestanden haben, wiegt einfach nicht auf, was sie alles für uns beide getan hat." ❤️

 

 

Zeichen aus der "Anderswelt"

  

Meine Mutter versprach, sich von der "anderen Seite" aus bemerkbar zu machen, und mir ein Zeichen zu geben. Ich bin gespannt. 😊

  

Mama, du hast dein Leben auf die Erde gelegt und die Reise zurück in die Welt der Seelen angetreten.
Wer Nachttanz gelesen hat, kennt diesen Satz von Logan aus Band 1. Meine Mutter – ein unglaublicher Nachttanz-Fan – liebte ihn. (Diesen Satz, aber auch den Mann. 😉)

  

Kurz vor ihrem Tod las ich ihr aus Band 2 vor. Bis Kapitel 5 sind wir gekommen. Als ich auf das Bestattungs-unternehmen wartete, habe ich ihr das Kapitel zu Ende vorgelesen. Ich habe Aufnahmen, die nun zu meinem wertvollsten Besitz gehören: Ich lese; sie liegt in ihrem vom Palliativdienst beantragten Pflegebett im Wohnzimmer und macht hin und wieder ein wohlwollendes Geräusch, wenn eine Passage sie berührte. 

 

Mama, ich liebe dich.
Du warst ein großartiger Mensch und eine ebenso wunderbare wie (im positivsten Sinn) herausfordernde Mutter. Deine Plakette mit „Bestest Mum“ hat dein Enkel schmunzelnd an mich weitergegeben, trotz aller Lernfelder und Prüfungen, die auch er und ich miteinander zu bewältigen haben. 

  

Ich weiß: Wenn meine Zeit gekommen ist, wirst DU mich abholen, Mama.
Bis dahin.

In ewiger Liebe. 

🕯️🤍♾️🌌❤️

 

 

 

 

P.S. Wenn diese Zeilen in dir nachklingen, teile gerne deine Gedanken mit mir in den Kommentaren.

Du bist nicht allein. Auch wenn es sich manchmal so anfühlt. ❤️

 

 

️Brauchst du gerade jemanden zum Reden?

 

Wenn du selbst einen Verlust erlebt hast oder mit deiner Trauer nicht allein zurechtkommst, kannst du dich anonym und kostenlos an die Telefonseelsorge wenden:
📞 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222
🌐 www.telefonseelsorge.de

Weitere Anlaufstellen findest du hier:

Krisenchat: https://krisenchat.de

Veid e.V. – Bundesverband Verwaiste Eltern & trauernde Geschwister in Deutschland e.V.:

https://www.veid.de/

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